Ich fliege immer weiter fort... (Kap. 7)

Ein transidentes Kind erzählt von seinem Geheimnis

Ein ganz liebes Spätsommerkind bist du, hat meine Oma zu mir gesagt, als wir gemeinsam Brombeeren gepflückt haben. Sie ist die Einzige in der ganzen Familie, die mein Geheimnis kennt. Ich verrate es jetzt, obwohl ich genau weiß, mir glaubt doch keiner: Ich bin eigentlich ein Junge. Ich heiße gar nicht Sophie, sondern Hannes. Oma meint, das ist für sie gar kein Wunder. Sie hat mir über die Wange gestreichelt und gesagt: Du bist so stark und wild und auch so dickköpfig, wie dein Papa es war, als er so alt war wie du jetzt. Ich bin sicher, die Leute sagen zu dir, na, an dir ist ja ein richtiger Junge verloren gegangen. Oder wenn sie dich zum ersten Mal sehen, denken sie , du bist ein Junge. Das hat Oma gesagt und mich in den Arm genommen.

Ich freue mich darüber, dass ich meinem Papa ähnlich bin und auch die Oma das so sieht, denn sie versteht mich eigentlich am besten. Leider wohnt sie viel zu weit weg. Erst an Ostern besuchen wir sie wieder. Oma und ich, wir telefonieren nicht besonders gern. Und Briefe schreiben lerne ich ja erst noch.

Ich spiele immer nur mit andren Jungs. Die Mama will aber unbedingt, dass ich mich mit Mädchen anfreunde und so blödes Mädchenzeug anziehe. Weil ich eben in ihren Augen schließlich ein Mädchen bin. Ich finde aber die meisten Mädels echt doof. Ich mag ihre Spielsachen nicht und überhaupt, wie die so sind. Bis auf das Annchen, in die bin ich verliebt. Das ist auch ein Geheimnis. Nicht einmal das Annchen weiß es. Aber sie findet es toll, wie stark ich bin. Als sie nämlich neu in den Kindergarten gekommen ist, waren die meisten Kinder gemein zu ihr. Da habe ich den Ludwig, das ist fast das stärkste Kind bei uns, so lange in den Schwitzkasten genommen, bis er mir versprochen hat, Annchen in Ruhe zu lassen.

Zu meinem Geburtstag war meine kleine Cousine bei uns zu Besuch. Ich mag sie nicht besonders. Sie behauptet einfach, sie hat blaues Blut und stammt von einem König ab. Da habe ich ihr gesagt, dass ich Hannes heiße und genau wie ihr großer Bruder einen Pimmel habe. Die blöde Kuh ist dann sofort zu ihrer Mama gelaufen und hat gepetzt. Sie hat laut rumgeplärrt, dass ich gar keinen Pimmel haben kann und überhaupt nicht Hannes heiße. Das gab ein Riesentheater. Ich habe mich geschämt und mich in meinem Zimmer versteckt. Und dann nicht mehr getraut, runterzugehen, auch als Papa abends nach Hause kam. Sie haben mich in Ruhe gelassen und am nächsten Tag nicht mehr davon angefangen.

Aber worüber ich auch noch richtig froh bin: Mein Freund Martin sagt zu mir einfach nur Boss. Hi, Boss, so begrüßt er mich immer. Obwohl er mein Geheimnis noch gar nicht kennt.

Autor: Titus David Hamdorf